Elisabeth Ditzen

Elisabeth Ditzen (18.02.1868 - 04.06.1951)

Elisabeth Ditzen, die Mutter von Hans Fallada, dem großen Autor von »Kleiner Mann - was nun?» und vielen anderen Romanen, hatte «einen sanften und freundlichen Charakter, ein kleines liebebedürftiges Herz. Sie sehnte sich nach ihrer immer freundlichen Mutter, als sie nach dem Tod ihres Vaters hei ihrem launischen Pflegevater Onkel Pfeifer aufwuchs. Dieser war Witwer und Notar und «eine Mimose, die sich ein Leben lang mit Drachenblut ernährt hatte.... Er war der Nabel der Welt, leider ein zu Entzündungen neigender Nabel», schreibt Hans Fallada in «Damals bei uns daheim». So hatte Elisabeth es in ihrer Kindheit oftmals nicht leicht. Einmal besaß sie die stattliche Summe von fünf Pfennigen Geld - wahrscheinlich von einem Besuch bei ihrer Mutter. Weil das «Kapital» unbedingt aus dem Haus mußte, überlegte sie tagelang, wie es wohl am besten «anzulegen» war Schließlich entschied sich das Mädchen für einen Windbeutel als Ausgleich zu den täglichen trockenen Semmeln. «Schnell huschte sie zum Familienbäcker, kaufte das mit Sahne gefüllte Gebäck und huschte damit in den Garten, versteckte sich hinter den Stachelbeeren und aß es auf.» Einige Wochen lebte sie dann in ständiger Angst, bei einem der täglichen Spaziergänge mit dem allmächtigen Onkel könnte der Backer sie zufällig fragen: «Nun, Lowise, wie hat dir denn mein Windbeutel geschmeckt?» Das las sie schon förmlich von seinen Lippen ab. Im Alter von 18 Jahren lernte Elisabeth Wilhelm Ditzen kennen. «Die beiden heirateten sich, unter ausdrücklicher Billigung von Onkel Pfeifer, und da so Partie zu Partie kam, war alles in bester Ordnung.... Sie, die stets für andere hatte da sein müssen, die nie etwas Eigenes hatte sein und besitzen dürfen, lehrte er, ein Mensch zu werden ... Er machte einen Menschen aus Mutter, aus ihr, die fast ein Automat geworden wäre... Vater hatte nie Launen, er wurde selten ungeduldig», so schreibt Hans Fallada über seine Eltern. In ihrem Haushalt mit vier Kindern war sie unermüdlich tätig, «nur selten schlüpfte sie einmal aus ihrem Arbeitskleid.» «...die Zeiten waren so, daß das Weibliche unter keinen Umständen in männliche Vorrechte eingreifen durfte; Männer tranchierten den Braten, rauchten und kauften den Wein, Frauen waren für Küche, Kinder und Dienstboten zuständig. ...Aber ich wußte noch nicht, was ich verloren hatte, ein Kindheitsparadies, in dem meine Mutter eine richtige Fee war - schöner als alle Feen der Märchenbücher», erinnert sich der Schriftsteller. Bis zu seinem 16. Lebensjahr gehörte er zu den «geborenen Pechvögeln. Zu seinen Erinnerungen an die Greifswalder Teil gehört eine hierfür typische Episode: In der damals vornehmen Gegend am heutigen Karl Karl-Marx-Platz 17 verbrachte Rudolf Ditzen, so sein bürgerlicher Name, von 1894 bis 1899 einige Jahre seiner Kindheit. In der Wohnung, die im ersten Stock lag, zwängte er einmal seinen Kopf durch die Gitterstäbe hindurch, um ins Erdgeschoß hinunterzuschauen und zu warten, bis jemand unten vorbeikäme, dem man auf den Kopf spucken könnte. Selbst als Vater mit einem Herrn hereinkam, änderte er seinen Entschluß nicht - warum auch immer. Er spuckte den beiden vor die Füße. «Du Hans-?!» rief Vater, vor Staunen noch nicht ganz empört. «Was fällt dir denn in aller Welt ein?! Warte nur-!» Nun wollte Hans den Kopf aus den Geländer-stäben herausziehen, aber das gelang ihm nicht allein. «Die beiden Herren zogen mit Eifer, ich brüllte stärker und stark. Im Hin tergrund hatte sich fragendes, klagendes, ratendes Weibervolk aus unserer Wohnung eingefunden, darunter Mutter und die Schwestern.... Das ganze Haus lief zusammen. Schließlich kam auch Vater zu der Überzeugung, daß hier die Logik nicht ausreiche, und gab erschöpft den Kampf auf.Nun brüllte ich knieend ins Treppenhaus hinab. «Aber jetzt trat Mutter in Tätigkeit, sie war dafür, mich ohne Rücksicht auf die vorauf gegangene Spuckerei - erst einmal zu beruhigen. In der Ruhe werde mein Kopf schon abschwellen und ich aus eigener Kraft aus der Vergatterung finden. Sie versucht es mit guten Worten, dann mit Versprechungen, schließlich mit Schokolade. Vater stand - ein stummer, aber schreiender Protest - dabei.» Das Brüllen des Kindes wurde nur noch lauter, denn es hatte die Befürchtung, die Mutier wolle es an eine Ernährung durch die Gitterstäbe gewöhnen. Aber dann kam die Rettung. «Die Herren waren noch in ihrer wegen meines Gebrülls notwendig lauten Debatte, als der von meiner Mutter herbeigeholte Hauswirt, mit einer Stichsäge in der Hand, erschien. Lächelnd fuhr er über meinen Kopf mit der Säge hin und wider, ein Knacks, er bog die Stange zur Seite und, von hilfreichen Händen hervorgezogen, saß ich inmitten einer beträchtlichen Menschenansammlung, von der ich bisher nur notdürftig die Schuhe sowie Rock- und Hosenkanten hatte sehen können. Völlig verbrüllt und verschmiert blickte ich blöde lächelnd in lauter freundlich lächelnde Gesichter - mit einem Schlage war mein Gebrüll verstummt. Dann sammelte ich mich, steckte die Hand zur Mutter aus und verlangte: .Meine 'Lade, Mutti!'». Viele Jahre später war Elisabeth Ditzen von Celle aufs Land nach Carwitz zu ihrem Sohn Rudolf gezogen. Trotz Krankheit blieb sie der Mittelpunkt der Familie, ihr Bett stand im Wohnzimmer, weil sie in ihren letzten Lebensjahren bettlägerig war. Mit den Enkelkindern spielte sie gern Romme, Sechsundsechzig und mit besonderer Freude Gesellschaftsspiele. Über Annas («Suses»), Falladas erster Frau, Anwesenheit war sie glücklich. Als Hans Fallada in Feldberg Bürgermeister wurde, zog die Familie dorthin «Hier ist eine sehr nervöse Stimmung, ja kein Wunder.... Immer sind Russen im Garten oder im Haus, und kaum eine Nacht ist Ruhe.» Das sind schriftliche Erinnerungen von Elisabeth Ditzen an das Jahr 1945- «Ich habe oben ein sehr hübsches Zimmer, von dort aus schöne Aussichten auf Park, See, Baumgruppen. Wir hätten sicher vor langen Jahren hier eine hübsche Sommerfrische gehabt.... Ich möchte nur, daß mein Verhältnis zu Rudolf herzlicher wäre. Aber das ist wohl für immer vorbei, und ich muß mich zufrieden geben, daß es höflich ist.... Ich möchte gern, es würde herzlicher, aber es ist nicht an ihn heranzukommen.» Immer wieder zeigte sie, wie wichtig das Schicksal des Sohnes für die ganze Familie war. Als er zum wiederholten Male gesundheitlich sehr angeschlagen war, schrieb sie: «Wie unsagbar schwer ist das alles. Manchmal denke ich, ich halte das nicht mehr aus. ... Ich kann nicht sagen, wie unglücklich mich das alles macht.» Im September 1945 beendete Hans Fallada das Amt des Bürgermeisters in Feldberg, er suchte mit seiner zweiten Frau Ulla eine neue Perspektive in Berlin. 1951 starb Elisabeth Ditzen. Ihre Grabstätte befindet sich in Carwitz - ein paar Schritte von der letzten Ruhestätte des berühmten Sohnes entfernt.

Aus „Greifswalderinnen in Licht und Schatten“ v. A. Höfs, A. Sandmann, U. Boback-Askri, 2000

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